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Portugal in 100 Objekten

Der heute zurecht berühmte Nationaldichter Luis de Camões ist als bettelarme Person in Lissabons Gassen verstorben. Viele, viele Jahre später bekam er sein Ehrengrab im Kloster von Jerónimos. Foto: ph.

Luis de Camões und der Sebastianismo

Wie ein Raufbold und Draufgänger, Söldner, Schürzenjäger und Veruntreuer es zum Nationalheld brachte...

Nur wenige Kilometer von Lissabon entfernt brechen sich die Ozeanwellen am Cabo da Roca, einem in den Atlantik hineinragenden Felsenkap. Hier sind wir am westlichsten Punkt Europas.

Auf einer kleinen Steintafel sind die Worte des portugiesischen Nationaldichters eingemeißelt: "Hier hört das Land auf und das Meer beginnt" — ein Vers aus seinem Epos Die Lusiaden, mit dem Luis de Camões dem Entdeckermut der Portugiesen ein literarisches Denkmal setzte.

Dom Sebastiao
Der junge König Sebastião: Ein notorischer Spinner und Träumer...

In der Geschichte dieser Seefahrer-Nation mußte das Meer notgedrungen mit der Literatur eng verbunden werden - und das Meer mit dem Schicksal der ganzen Nation. So setzte Camões den Rittern zur See in Versen ein Denkmal, das schließlich dem kleinen Land zum Verhängnis werden sollte...

Luiz de Camões (1524—1580) stammte aus einer adligen, aber verarmten Familie aus Gallizien, wurde in Lissabon (andere meinen in Santarém, Coimbra oder Alenquer) geboren, studierte in Coimbra. Das abenteuerliche Leben des Dichters (15241580), begann nach seinem Studium an der Universität von Coimbra, als er nach Lissabon zog.

Sein Onkel, der ziemlich unbekannte Dichter Vasco Pires de Camões, war ein galizischer Nobelherr, der zur Zeit des Königs D. Fernando sich in Portugal niedergelassen hatte.
Camões der Jüngere sollte nun wesentlich bekannter werden: als Raufbold und Draufgänger, Schürzenjäger und Veruntreuer und schließlich - natürlich nach seinem Tod — als Nationalheld.

Wegen einer Liebesaffäre mit einer Hofdame der Königin Catarina wurde Camões zum Kriegsdienst in Afrika verbannt, wo er bald ein Auge einbüßte.

Schon als junger Mann hielt er sich am Hofe des Königs João III, (1521-1557) auf. Er verliebte sich in die Hofdame Catarina de Ataíde, widmete ihr Gedichte. Intriganten am Palast sorgten dafür, daß er den Hof bald verlassen mußte.

Camoes

Er ließ sich als Södner anheuern und wurde 1547, kaum 23 Jahre alt, nach Maroko eingeschifft. Im Scharmützel von Mazagão traf ihn ein arbischer Pfeil - er verlor sein rechtes Auge.

Kaum zurück nach Lissabon, mußte er ein Jahr im Kerber büßen - die Strafe für die Messerstiche, die er einem Lakeien des Königs verpaßte. 1553 schiffte er sich erneut ein - Richtung Indien.

Die Lusiadas

Im Gefängnis inspirierte ihn die Lektüren der Dekaden von João de Barros zum Projekt, Portugals Abentuer zur See in epische Verse zu gießen.

Luis de Camões berühmtestes Werk handelt von der Reise da Gamas um das Kap der Guten Hoffnung, um nach Kalikut, Indien zu gelangen. Ganz im Geiste der Renaissance, schreibt der Lyriker in Versen, die sich an dem anderen großen Seefahrer-Epos, der Odyssee von Homer, orientieren und in 10 Gesänge mit 1.102 Strophen und 8.816 Verse aufgliedern.

In Indien dichte Camões die ersten 6 Cantos der Lusíadas. 1553 war er in Goa angekommen, 1558 bekam er im chinesischen Handelsposten Macau den Posten des Provedor-mor de defuntos e ausentes — eines Verwalteres von Erbschaften. Dort dichte er an den Lusíadas weiter.

Der Vorwurf der Veruntreuung statlicher Gelder zwang ihn zurück nach Goa. Er kam nie an - sein Schiff zerbrach in einem Strum an der Küste Kambodjas. Camões rette sich schwimmend - in einer Hand das Manuskript der Lusiaden über die Wellen haltend....

Das Epos Os Lusíadas wurde schließlich 1572 gedruckt und dem jungen König Sebastião I.gewidmet.

Der pubertäre Monarch, ein notorischer Träumer und Phantast, war so angetan, daß er dem Dichter eine Jahresrente von 15.000 Réis zusprach. Mehr noch: er ließ sich vom epischen Werk so beflügeln, daß er sich entschloß, die Heldentaten seiner Vorfahren nachzuahmen.

König Sebastião I. bereitete flugs eine Invasion von Nordafrika vor - auch er wollte nun den Mauren zeigen, was eine portugiesische Harke ist. Kaum in Afrika angekommen, wurde sein Heer in der Schlacht von Alcácer-Kibir aufgerieben. Seitdem warten die Portugiesen darauf, daß der junge König an einem nebeligem Morgen wieder an Portugals Küste lande. Die bizarre Haltung des Sebastianismo ward geboren...

Das königlose Portugal fiel den Felipes von Spanien zu - von 1580 bis 1640 erlebte Portugal seine schmachvollste Zeit - als spanische Provinz.

Camões starb als unbekannter Bettler am 10 Juni 1580, nicht nur in seinem Vaterland, sondern auch mit seinem Vaterland.


Seit vierhundert Jahren hält sich der Mythos, daß Dom Sebastião eines Tages zurückkommen und sein Land erlösen wird, denn Portugal liebt seine Gespenster, vor allem, wenn sie zu nichts nutze sind.

Erlösen mußten sich die Portugiesen nämlich selbst, als Portugal schon längst bitterarm und das letzte Land Europas war, das noch in diesem Jahrhundert einen traumatisierenden Kolonialkrieg in Afrika führte.

Oliveira Salazar, der Diktator, der den irrwitzigen Krieg angezettelt hatte, kam zwar durch einen zusammenbrechenden Liegestuhl zu Tode, doch sein Nachfolger Caetano fiel just über diesen Krieg - kriegsmüde Mannschaften und Offiziere schlossen sich zur "Bewegung der Streitkräfte" zusammen und stürzten die Diktatur am 25. April 1974. Eine friedliche Revolution, bei der kein Blut floß.

Was Camões in Versform festgehalten hat, haben die Baumeister seiner Zeit in Bauwerke wie die Batalha, das Hyeronimus-Kloster der Festungsturm in Belém, und das Christus-Kloster von Tomar umgesetzt: steingewordene Träume, die die Eroberung der Meere preisen. Diese bizarre Variante der Spätgothik ist der Manuelinische Stil, benannt nach Portugals König Manuel I.

Nach seiner Rückkehr in die Heimat brachten ihm Raufhändel ein Jahr Kerker ein. Begnadigt zum Militärdienst in Asien, mußte er sich dort auch an Strafexpeditionen gegen die einheimische Bevölkerung beteiligen. Unternehmen, die, wie er wohl registrierte, in krassem Kontrast zur offiziell propagierten christlichen Weltmission Portugals standen, die er später in seinen Lusiaden so begeistert feierte.

Sowohl im chinesischen Macau, wo er eine kleine Beamtenstelle erhielt, wie in seinen Jahren im indischen Goa, lebte Camões unter schlimmsten Entbehrungen. Der Legende nach erlitt Camões, als er 1558/59 aus Macao nach Lissabon zurückkehrte, Schiffbruch und rettete sein Manuskript der Lusiaden, indem er es mit einem Arm über die Meereswogen hielt und mit dem anderen an Land ruderte.


Conrad Ferdinand Meyer hat in seinem Gedicht Camões einen Schüler des Dichters fragen lassen, ob diese Geschichte denn auch wahr sei, und der Meister antwortet ihm mit einem Gleichnis:

Solches tat ich, Freund, in Wahrheit,
Ringend auf dem Meer des Lebens!
Wider Bosheit, Neid, Verleumdung
Kämpft ich um des Tages Notdurft
Mit dem einen dieser Arme.
Mit dem andern dieser Arme
Hielt ich über Tod und Abgrund
In des Sonnengottes Strahlen
Mein Gedicht, die Lusiaden,
Bis sie wurden, was sie bleiben.

Als er nach fast siebzehnjähriger Abwesenheit wieder nach Lissabon heimkehrte, mußte er, der einst den ruhmreichen Aufstieg seiner Nation erlebt und besungen hatte, nun den totalen Zusammenbruch Portugals miterleiden, dessen junger König Sebastian 1578 samt seiner Armee von den Arabern auf der dürren Ebene von al-Qasr-al-Kabir in Nordafrika vernichtend geschlagen wurde. Im selben Jahr 1580, in dem Camões verarmt und vergessen als eines der vielen Opfer der in Lissabon grassierenden Pest starb, wurde Portugal spanischer Besitz.

Am Ende seiner Tage, vollkommen desillusioniert auf sein Leben zurückblickend, wird er zum Ankläger des Kolonialismus. Es war ein Bild des geharnischten und lorbeergekrönten, gleichwohl von tiefem Leid gezeichneten und einäugigen Luís de Camões, das der Schüler Reinhold Schneider zu Beginn des 20. Jahrhunderts im vielbändigen Orbis pictus seines Großvaters entdeckte und das ihn so sehr in Bann schlug, daß er beschloss, sich später einmal auf den Weg nach Portugal zu machen, um diesen Dichter, seine Sprache und sein Volk aus der Nähe kennenzulernen.


Es ist nicht zu hoch gegriffen, wenn man sagt, daß Portugal und Camões, den Reinhold Schneider später einmal als die „Galionsfigur meiner fragwürdigen Lebensfahrt” bezeichnet hat, Schneider erst selbst zum Dichter werden und so tief wie keinen anderen Deutschen in das Geheimnis Portugals eindringen ließen.

Reinhold Schneiders erstes, 1930 bei Jakob Hegner in Hellerau erschienenes Buch Das Leiden des Camões oder Untergang und Vollendung der portugiesischen Macht ist keine wissenschaftliche Arbeit, sondern eine poetische Selbsterforschung im Spiegel des Camões, ein sprachlich beeindruckendes Meisterwerk. Sieht man von einem schmalen Insel-Bändchen mit sehr geschmeidigen Übertragungen einiger Camões-Sonette durch Otto von Taube einmal ab, ist danach für den portugiesischen Dichter in Deutschland lange nichts mehr getan worden.

Bis 1999 der kleine Berliner Elfenbein-Verlag eine opulent aufgemachte Neuübersetzung der Lusiaden von dem Lusitanisten Hans-Joachim Schaeffer herausbrachte, der man schon wegen ihrer Vollständigkeit und Zweisprachigkeit Bewunderung zollen muß. Dann hat der Elfenbein-Verlag nachgelegt und, wieder in der Übertragung Schaeffers, eine zweisprachige Ausgabe der sämtlichen Gedichte von Camões präsentiert, die vielleicht noch mehr als die Lusiaden geeignet sind, ernsthaft ein neues Interesse an Camões zu wecken, da uns das rühmende Pathos des Helden- und Nationalepos mit seinem mythologischen Faltenwurf doch etwas ferngerückt ist, während die Gedichte mehr vom Menschen Camões verraten und deshalb noch ganz unmittelbar zu wirken vermögen.

Camões konnte so ziemlich alle Register der Poesie ziehen, vom volkstümlichen und frech-witzigen Ton bis zum elegischen und tragischen. Er war ein Artist und Poeta doctus, der Mythologie und Philosophie, Geschichte und Literatur nicht nur gut kannte, sondern sie in seinen Elogen, Elegien, Kanzonen, Oden, Oktaven, Sestinen und Sonetten auch als poetisches Material nutzte und fruchtbar werden ließ.

Die Sonette bilden den Gipfelpunkt seines dichterischen Ingeniums, im Rang nur jenen Petrarcas vergleichbar, auf den sie sich nicht selten auch beziehen. In diesen Sonetten dominiert jenes portugiesische Lebensgefühl, das gern mit Saudade umschrieben wird und nicht nur Lust an der Traurigkeit – Schmerzlust – meint, sondern Resignation und Fatalismus mit einschließt und aus abgrundtiefer Seeleneinsamkeit kommt. Die Frau und die Liebe zur Frau sind die Garanten dafür, daß diese Schmerzlust immerwährend Nahrung findet; Liebe und Unglück bedeuten für Camões so etwas wie Synonyme.

Es ist keine rhetorische Geste, sondern sein Credo, das Camões in der Verszeile Mein Lieben wird den Tod selbst überleben formuliert –, so ist dies sicher auch einer maßlosen Überforderung der Frau geschuldet, die für den portugiesischen Dichter weit mehr sein soll als nur sie selbst, nämlich Transmissionsträger nicht nur zu allem Endlichen, sondern auch zum Unendlichen. Daß die beiden Merkmale, die die saudade besonders kennzeichnen – Erinnerung (lembrança) und Tränen (lágrimas) –, im Portugiesischen miteinander alliterieren, ist ein stimmiger Zufall«, schreibt Rafael Arnold, der als Herausgeber und Kommentator der Camões-Ausgabe fungiert, in seinem fundierten Vorwort.

Wenn Erinnerung und Tränen Camões zu überwältigen drohen und ihm oft nur noch der Tod Schutz gegen sie zu bieten scheint, kommt ihm immer wieder die Natur – Winde, Wellen, Berge, der Himmel – zu Hilfe. „Das Portugiesische ist weich und unbestimmt”, schreibt Reinhold Schneider in seinem Camões-Buch, „es ist so von Gefühl gesättigt, daß es fast seinen Rhythmus verliert; es ist die Sprache der Apostrophe, Verkürzungen und Verschmelzungen, des Vermischens und Hinüberfließens; zusammengezogen von einem gleichsam unterirdischen Temperament, das ganze Silben des lateinischen Stammes unbedenklich überspringt und im Tone noch überhastet, was in der Schrift stehen blieb, eilt es doch nur, um zu vergehen und zu verströmen.”

Luís de Camões: Sämtliche Gedichte Portugiesisch – Deutsch, aus d. Portugiesischen von Hans-Joachim Schaeffer; herausgegeben und kommentiert von Rafael Arnold; Verlag Elfenbein, Berlin 2008; 1232 S., 75,– € Luís de Camões: Os Lusiadas – Die Lusiaden Aus d. Portugiesischen von Hans-Joachim Schaeffer; bearbeitet und mit einem Nachwort von Rafael Arnold; Verlag Elfenbein, Berlin 1999; 653 S., 65,– €


Die erste deutschsprachige Veröffentlichung der Lusiaden erschien 1810 und löste unter deutschen Dichtern Begeisterung aus.

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